Diese Reise 1990 mit meiner damaligen Freundin Claudia, war die erste weitere Fahrt für mich. Etwas Erfahrung mit dem “Orient” konnte ich bereits auf einer Tour nach Tunesien sammeln. Christoph Altmann, ein freier Motorrad-Journalist war damals mein Nachbar und er brauchte jemanden, der ihn begleitet. >>hier geht es zum Artikel. Dort in den einfachen Unterkünften, hatte ich gelernt, dass Badelatschen zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen zählen. Seither schockt mich kaum noch eine Dusche.

An meiner alten BMW R 80 G/S hatte ich schon seit Jahren Hepco & Becker Koffer montiert. Die heute bei jedem Anbausatz vorhandene Querstrebe zwischen den beiden Kofferhaltern fehlte bei diesem System. Das war die einzige Veränderung, die ich am Motorrad vornahm, solch ein Strebe anschweißen zu lassen. Los geht es schließlich Ende August, am 25.08.1990. Um sieben Uhr in der Früh schon sitzen wir auf dem Motorrad, nachdem wir am Vorabend noch ewig das Gepäck hin und her verschoben hatten. Wir hatten uns entschlossen, keine Campingausrüstung mitzunehmen, günstige Hotels sollten überall zu finden sein. Trotzdem hatten wir unsere liebe Not, den ganzen Krempel auf der Kiste unterzubringen, wollten wir nicht mit turmhohen Aufbauten herumeiern.

In der Nähe von Pomposa übernachteten wir das erste Mal in einer netten Pension, die wir nach einiger Suche fanden. Als ich unser Gepäck holen wollte, sah ich das Malheur. Auf der linken Seite war der Befestigungsbügel, der den Koffer am Rahmen hält, angebrochen und es wäre nur noch eine Frage von wenigen Kilometern gewesen, bis Koffer und Motorrad getrennter Wege gegangen wären. Super, und das am ersten Tag.

Unter anderem hatte ich einige Schlauchschellen dabei. Mit einem Feuerzeug erhitzte ich die Spitze eines Schraubendrehers und konnte so zwei kleine Schlitze in die Rückwand des Koffers schneiden, links und rechts neben dem Verlauf des senkrechten Rahmenrohres. Durch diese Schlitze fädelte ich die Schlauchschelle, außen um das Rohr und auf der Innenseite um einen großen Inbusschlüssel, damit die Plastikschale nicht ausriss. Fest war der Koffer jetzt, Abnehmen ging halt nicht mehr. Aber damit ließ sich leben.

Kommenden Tages erreichen wir um zwei Uhr nachmittags bereits Ancona. Gegenüber dem Hafen gönnen wir uns noch eine Pizza, dann geht es aufs Schiff. Die Tickets für die Deckspassage nach Igoumenitsa hatten wir bereits in München besorgt, die Formalitäten waren also schnell erledigt. Das Wetter war auf unserer Seite. Bei traumhaft blauem Himmel und Temperaturen nahe der 30 Grad laufen wir am späten Nachmittag aus. Unter einem kleinen Vordach draußen auf Deck richten wir uns entsprechend ein und genießen die Ruhe nach der hektischen Anfahrt über die Italienischen Landstrassen.

Was wir nicht bedacht hatten, sobald die Sonne weg war, wurde es empfindlich kalt. Gerne hätten wir draußen geschlafen, wachten mangels Schlafsack, nur in unsere Jacken gehüllt jedoch immer wieder von der Kälte auf. Schließlich gaben wir nach und verzogen uns nach innen. Die Bar war zwischenzeitlich geschlossen und wir machten es uns dort auf den Polsterbänken gemütlich. Am nächsten Abend erreichen wir Igoumenitsa. Damals wurde auch in Griechenland noch das Fahrzeug in den Pass eingetragen. Nach einem kurzen Tankstop nehmen wir die Strasse hinauf zum Katara-Pass unter die Räder. Schnell wird uns aber klar, dass auf dieser Strecke wohl so bald keine Unterkunft mehr kommen wird. Wir wenden und übernachten in dem kleinen Hafenstädtchen.

Die Strecke nach Osten in Richtung Thessaloniki ist ein Traum für Motorradfahrer. Wenig befahren, kurvig und landschaftlich ein Erlebnis. Einziger Wermutstropfen ist der Belag, der den Haftbeiwert von Schmierseife hat. Nicht schlecht staunen wir jedoch, als wir fast auf Passhöhe ein Schild „Pistenraupen kreuzen“ erblicken. Die Temperaturen waren moderat, dass man in Griechenland im Winter jedoch sogar Ski fahren kann, das hätten wir dann doch nicht vermutet. Bis kurz hinter Thessaloniki schaffen wir es. Heute existiert eine perfekt ausgebaute Autobahn. 1990 staute sich der gesamte Fernverkehr direkt durch die Innenstadt dieser Metropole. Es war inzwischen unglaublich heiß.

Die Lederjacken fristeten schon lange ihr staubiges Dasein hinten auf dem Gepäck, ich hatte meine alte Bundeswehrhose angezogen und trotzdem schwitzen wir ohne Ende. Meine Sorge galt dem Motor. Luftgekühlt, praktisch ohne Fahrtwind bei deutlich über 30 Grad im Schatten, Ewigkeiten von einem Stau zum anderen stehend, hoffentlich geht das gut. Irgendwann sahen wir das Ortsschild im Rückspiegel, die Straße wurde leerer und wir konnten Gas geben. Trockneten unseren Schweiß noch etwas im kühlenden Fahrtwind und kauften dann ein paar Lebensmittel in einem der kleinen Geschäfte am Straßenrand. Brot, Käse und etwas Obst. Am kommenden Tag erreichen wir die Grenze zur Türkei in Ipsala. Über eine schmale Brücke führt die Straße, die auf einem großen Parkplatz endet.

Zahlreiche Wohnmobile und Autos stehen dort bereits. Wir schnappen unsere Pässe und die Wertsachen, betreten damit das Zollgebäude und sind neugierig, was jetzt kommt. Die Prozedur ist jedoch schnell erledigt. Ein Stempel von der Polizei, ein weiterer von einem Zöllner, der die grüne Versicherungskarte auf Gültigkeit prüft und die BMW in meinen Pass einträgt, eine abschließende Passkontrolle beim Verlassen des Parkplatzes und wir sind in der Türkei. Schnell, entspannt und vollkommen problemlos.

Von Griechenland hat man ja so seine Vorstellungen. Irgendwelche Tempel, Philosophen, die in Tonnen lebten, Gyros, Taramas und Retsina. Diese Vorstellung, die einem in Deutschland in griechischen Tavernen „verpasst“ wird, hat mit dem Land selbst sehr wenig gemein. Wie es nun in der Türkei aussehen mag, die Infrastruktur, Straßen, Hotels, Benzinversorgung, ... keine Ahnung. Unsere Erwartungshaltung war auf der einen Seite extrem hoch – jeder, den wir kannten und der einmal in diesem Land war, sprach fast nur positiv darüber – auf der anderen Seite die Ungewissheit, wie man uns als Deutschen begegnen würde. Was war in der Türkei bekannt über die „Ausländer raus!“- Parolen an deutschen Hauswänden?

Die Straße von Ipsala nach Istanbul ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, eine Gerade. Wäre nicht dieser extreme Gegenwind gewesen, der alle Kraft erforderte, gerne hätte ich über mein Weltbild, das ich gegenüber der Türkei habe, noch etwas philosophiert. So aber war ich damit beschäftigt, die Böen abzufangen und meine Nackenmuskeln zu trainieren.

Dann unsere erste (und letzte) Begegnung mit der türkischen Ordnungsmacht. Rechts auf einem Parkplatz stand ein Polizeiwagen, daneben ein Pkw mit französischem Kennzeichen. Ein Polizist machte deutlich, dass ich rechts ranfahren sollte.

„Passport!“, ich gab ihm meinen Pass. „Thomas?“ ich nickte, „Thomas, Radar!“ Mein Gesichtsausdruck dürfte nicht zu den intelligentesten gezählt haben. „Radar?“ „Radar! 120 Kilometer!“ Das war lächerlich. Motorräder dürfen in der Türkei 70 km/h fahren, das wusste ich, wir fuhren wegen des Windes maximal 80 und jetzt kam diese Typ daher und erzählt so einen Schwachsinn. Klar, worauf das hinauslief. „Thomas, 70.000 Lira!“ Das waren so um die 20 Mark. Ich zögerte. Heute hätte ich nicht gezahlt, nicht direkt an ihn, damals war das eine vollkommen ungewohnte Situation. Der „Staatsbeamte“ bemerkte mein Zögern und blickte noch mal in den Pass. „Aleman?“ Deutscher? „Ja“ „OK, Thomas, 10 Mark“. Einigermaßen sauer drückte ich dem Ordnungshüter 10 DM in die Hand, steckte meinen Pass wieder ein und wir fuhren weiter.

Wenn ich heute in den Nachrichten von Prozessen höre, in denen Manager ihren Hut nehmen müssen, weil sie irgendwelche ausländischen Behörden „geschmiert“ haben, denke ich oft an dieses Ereignis zurück und an ein weiteres an der ägyptischen Grenze 3 Jahre später. Diese Moralapostel bei uns sind sich nicht darüber im klaren, dass man schlicht an der Grenze verfault, wenn man dem Zöllner nicht seinen Dollar Bakschisch gibt oder Siemens eben kein Kraftwerk verkauft, wenn der Entscheider keine „Kohle“ bekommt. Diese Leute sollten vielleicht ihre gehäkelte Klorollenabdeckung von der Rückbank nehmen und mal auf eigene Faust durch solche Länder reisen. Das ist keine Rechtfertigung für Korruption, ich hasse Korruption, die gleichen Politiker ziehen aber den Schwanz ein, wenn es darum geht, den Verantwortlichen in den entsprechenden Ländern die Meinung zu sagen.

Gegen Mittag erreichen wir die ersten Ausläufer von Istanbul. Der Verkehr wird mit jedem Meter dichter. Was uns auffällt sind die Kleinlaster, scheinbar Ford-Lizenzbauten. Hoffnungslos überladen und genauso hoffnungslos untermotorisiert. Unglaubliche Rußwolken stoßen diese Fahrzeuge aus, wenn sie sich mit 10 km/h die kleinste Steigung emporquälen.

Die D100 ist mehrspurig ausgebaut. Wie viele Spuren es sind, kann niemand sagen. Rechts befindet sich ein breites Schotterbankett, über die Straße führen in regelmäßigen Abschnitten Fußgängerbrücken. Jeweils bei den Brücken sind die Bushaltestellen. Dort halten die kleinen Linienbusse in 2., 3. oder 4. Reihe. Wildes Gehupe, Gefuchtel mit den Armen und aggressives Gasgeben sind jedes Mal die Folge. Es herrscht das blanke Chaos. Die Temperatur überschreitet locker die 30 Grad Marke, die Straße ist so glatt, dass man mit dem Stiefel wegrutscht, wenn man sich abstützen möchte. Mich wundert es, dass die Reifen überhaupt noch haften. Das alles spielt sich in einer rasenden Geschwindigkeit ab. Fahrbahnwechsel der Autos, das Ausscheren der Minibusse, unvermittelt der nächste Stau.

Ich fahre nur noch intuitiv, Hupe bei jedem Überholvorgang, bin nur damit beschäftigt den Kopf nach links und rechts zu werfen, damit ich sehe, gegen wen ich fahren würde, wenn ich jetzt ausscheren müsste. Die Krönung des ganzen ist dann eine Herde Schafe, die am Straßenrand ihr Dasein fristet. Wir fahren rechts ran, um kurz zu verschnaufen. In dem Moment startet ein Jumbojet vom nebenan liegenden Atatürk Airport direkt über unserem Kopf. Ich wende mich zu Claudia und muss unwillkürlich grinsen über diesen Wahnsinn.

Navi oder GPS gab’s nicht. Einzig einen Stadtplan von Istanbul, auf den man aber die Zeit haben müsste, draufzusehen, während man im Gewühl steckt. Glücklicher Weise sind die Stadtteile eingezeichnet und wir folgen stur den Wegweisern Aksaray. Tatsächlich landen wir irgendwann im Universitätsviertel, an dessen Rand die günstigen Touristenhotels liegen. Im Hotel Dogan finden wir für 10 Mark ein schönes Zimmer, tragen unser Gepäck hinauf und beginnen mit der Erkundung Istanbuls. Das Hotel liegt perfekt in einer kleinen Nebenstraße der Ordu Cadesi. Am Ost-Ende dieser Straße liegen eine Vielzahl der Sehenswürdigkeiten, wie die Hagia Sophia und die Blaue Moschee. Fußläufig erreichbar sind der Basar, die Süleyman Moschee und die Galata Brücke.

Mit dem Motorrad fahren wir über die Galata Brücke hinüber nach Asien und besteigen den Galata Turm. Eine unglaubliche Aussicht auf Istanbul eröffnet sich uns. Dort oben befindet sich ein Restaurant, meine Eltern waren dort zum Essen und schwärmten davon, für unseren Geldbeutel leider nicht die richtige Preisklasse. Einen weiteren Tag gönnen wir uns für die Besichtigung dieser großartigen Stadt und fahren dann weiter in Richtung Osten. Den Weg über die Galatabrücke, unter der sich Restaurants und Geschäfte verbinden, kennen wir zwischenzeitlich. Auch das Verkehrschaos hat seinen Schrecken für uns verloren. Mit angepasster Fahrweise, das heißt, so rücksichtslos, wie möglich, schwimmen wir im Verkehr mit, passieren irgendwann die Europabrücke über den Bosporus und brauchen trotzdem noch Stunden, bis die letzten Ausläufer Istanbuls tatsächlich hinter uns liegen. Vier Mal führte mein Weg mich bisher durch Istanbul. Jedes Mal wieder bin ich genervt von dem abartigen Verkehr und jedes Mal wieder begeistert, wenn ich es aus der Ferne betrachte.

Als wir die Hauptstraße nach Ankara in Izmit nach Süden hin verlassen, sind wir mit einem Mal alleine. Traumhafte kurvige Straßen schlängeln sich über leichte Hügel, durch Kiefernwälder und Felder. Unser Haupt betten wir in Karamürsel zur Ruhe, nicht bevor wir abends in einem kleinen Restaurant hervorragend zu Abend essen und Kartenstudium betreiben. Das Essen in der Türkei ist ein absoluter Genuss. Gut gewürzt, etwas ölig dafür aber geprägt von einer unglaublichen Vielzahl unterschiedlicher Gerichte. Paprika, Auberginen, Bohnen, Kartoffeln, Zwiebeln, Peperoni werden als würzige Beilage gereicht zu Rindfleisch, Hammel und Huhn. Dazu Reis und leckeres, knuspriges Weißbrot.

Die nächsten beiden Ziele für uns lauten Pergamon und Ephesus. Selbst auf den nun als „Hauptstraßen“ gekennzeichneten Routen herrscht kaum Verkehr. Am Nachmittag erblicke ich vor mir auf dem Asphalt eine Schildkröte. Ich halte, stelle das Motorrad ab und lege mich auf die Straße, um sie zu fotografieren. Da hält ein Auto und heraus springt der Fahrer, in der Annahme, ich sei verletzt.

Das Missverständnis lässt sich schnell aufklären. Auch im weiteren Verlauf der Reise erfahren wir ständig die Hilfsbereitschaft der Menschen. Kurz vor Izmir halte ich an, um einmal kurz hinter einen Busch zu gehen. Kaum eine Minute später hält ein Wagen. Der Fahrer fragt uns auf Deutsch, ob wir Probleme haben und ob er helfen kann. Ständig treffen wir auf ehemalige Gastarbeiter, die zurückgegangen sind in ihre Heimat und Deutschland in sehr guter Erinnerung haben. Gemessen an den Einkünften in der Türkei haben sie bei uns gut verdient. Haben großteils selbst in den billigsten Absteigen gehaust, konnten aber monatlich immer und immer wieder ein paar Mark in die Türkei überweisen. Nach 15 oder 20 Jahren hat es dann gereicht für das eigene Zuhause, das kleine Hotel, den Laden oder die eigene Werkstatt. Obwohl sie hart dafür arbeiten mussten sind sie uns dankbar dafür, dass wir ihnen die Chance gegeben haben, das zu erreichen – und das spüren wir heute noch.

Die kommenden Tage stehen ganz im Zeichen der Kultur. Pergamon, Troja und Ephesus. Trotz Lateinschüler und bewandert in der Geschichte Kleinasiens muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mich Trümmerfelder einfach nicht begeistern können. Natürlich ist es beeindruckend, meterhohe Säulen zu bewundern, gepflasterte Straßen, über die vor tausenden von Jahren schon die Menschen schritten und Theater, die von der Akustik her so gebaut waren, dass man in der obersten Reihe noch die auf der Bühne stehenden Schauspieler deutlich verstehen konnte. Spannender finde ich die Geschichten, die sich mit diesen Orten verbinden. Heinrich Schliemann, der sich als Autodidakt sowohl Sprache als auch Kenntnis aneignete, den Schatz des Priamos tatsächlich zu finden oder Ephesus, in dem aufgrund der Verlandung das Meer immer weiter zurückging und die Stadt irgendwann in der Bedeutungslosigkeit verschwand.

Die Kalksinterterrassen von Pamukkale sollten ein weiteres Highlight auf unserer Fahrt darstellen. Nachdem wir jedoch im Vorfeld hörten, dass aufgrund von Hotelbauten in der Nähe das Wasser für die Duschen der Touristen dringender gebraucht wurde, als zum Speisen der Wasserfälle, sahen wir von einem Besuch ab. Eventuell ist es zwischenzeitlich wieder besser, damals hörten wir nur Schauermärchen über Coladosen, Dreck und fehlendes Wasser.

Dann ereilte es Claudia. Eine Darminfektion hielt sie gefangen. Fieberschübe, Erbrechen und Durchfall zogen sich über zwei Tage. Die Gastfamilie in der kleinen Pension war rührend. Immer wieder fragten sie nach dem Befinden, brachten Weißbrot und Wasser und kochten Kartoffeln, die Claudia trocken essen sollte. In Ortakent am Ägäischen Meer legen wir unseren ersten Strandtag ein, genießen es, mehrere Tage in einem Hotel zu bleiben, nicht jeden Morgen aufs Neue das Motorrad beladen zu müssen.

Entlang der Türkischen Riviera geht es nun in Richtung Osten. Auf der Suche nach einem schönen Hotel, in dem wir ein paar Tage Strandurlaub machen möchten passieren wir Bodrum, Patara und Antalya. Mittags essen wir jetzt meist in kleinen Gaststätten und dort vorwiegend die köstliche Suppe. Zusammen mit dem knusprigen, frischen Weißbrot ein Traum.

Dann das nächste Missgeschick. Die Straße führt durch einen duftenden Kiefernwald, als mich ein Schlag auf die Backe trifft, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Eine Biene hat mich erwischt, oder ich sie. Auf jeden Fall ist das Gift ihres Stachels jetzt in meiner linken Wange. Am kommenden Morgen sehe ich aus, wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dame.

Kurz vor Alanya finden wir eine kleine Pension direkt am Meer. Nur wenige Stockwerke hoch, das Restaurant auf dem Dach. Der Strand besteht aus feinstem Sand, kaum ein anderer Gast ist zu sehen. Hier bleiben wir die nächsten Tage, machen einen kurzen Ausflug nach Alanya, genießen aber im wesentlichen die Ruhe, die Sonne und das Meer. Der Kellner – Sami – fragt uns, ob wir ihm einen Job in Deutschland ermitteln können. Natürlich nicht. Wir bieten ihm an, dass er sich bei uns melden kann, sollte er tatsächlich nach München kommen, dann würden wir gerne helfen. Zum Dank für dieses Angebot wurden wir tagelang überhäuft mit Weintrauben, Nüssen und Gebäck. Es wurde uns schon peinlich, fast lästig und wir nahmen an, dass er uns wohl nicht richtig verstanden hatte.

Einige Tage verbringen wir in der kleinen Pension, dann brechen wir auf zum östlichsten Punkt unserer Reise, Anamur. Dort befindet sich die größte und best erhaltene Kreuzritterburg der Türkei. Als Fan von Umberto Ecos Foucaultschem Pendel und dem Namen der Rose begeistert mich alles, was mit dem Kreuzrittertum zusammen hängt. Als wir die gewaltige Anlage dann erreichen stapfe ich entsprechend motiviert in der Mittagshitze über die Wehrgänge, durch den Hof und krieche in jedes Loch. Claudia muss viel aushalten an diesem Tag.

Ab jetzt geht es zurück nach Westen. Der Weg soll uns über die Höhen Zentralanatoliens über Beysehir, Eskisehir und nochmals Istanbul nach Edirne führen, hinein nach Bulgarien. Erst einmal aber geht es hinauf nach Ermenek, eine Gebirgsstrasse hinauf auf 1300 Meter. Eine unglaublich schöne Strecke durch karges Hochland, ein Traum, würde es nicht aus Eimern Schütten. Der Straßenbelag ist Schotter. Anfangs dachten wir, wir sind wieder auf einer der ewigen Baustellen gelandet, dann wurde uns aber klar, das geht wohl bis zur Hauptstraße in 100 Kilometer Entfernung so weiter. Regen, dazu der Dreck auf der Straße, wir sahen aus, wie die Schweine.

Als zwischendurch die Sonne herauskommt, sehen wir die wahre Schönheit dieser Landschaft. Kahle Bergrücken, der Wind pfeift über die Hochebene, auf der wir uns befinden und beugt die verdorrten Halme des Steppengrases. Ein Ford Transit als Dolmusch, ein Sammeltaxi, holpert an uns vornüber. Die Fahrgäste winken uns freudestrahlend zu, wir winken zurück. 

Anatolien ist eintönig, man muss es mögen, das „Nichts“, ich bin begeistert davon, könnte ewig über die leeren Straßen rollen, Kilometer lang geradeaus und auf die Berge links und rechts von mir blicken, die schon über 2000 Meter aufragen. In einer der Städte unterwegs nehmen wir uns ein Zimmer. Es ist das einzige Hotel, Touristen gibt es hier nicht. Die Unterkunft ist der Hammer. Im Zimmer ein Kanonenofen, das Bad am Ende des Ganges ein kahler Raum mit Schlauch an einem Wasserhahn. Die Bettwäsche ist benutzt, ich lasse mir neue geben. Bei dem Preis dürfte das drin sein, sicher zahlen wir das doppelte, obwohl nur ein paar Mark. Unsere nassen Klamotten hängen wir an alle möglichen Haken, Griffe und Henkel. Abends gehen wir essen. Einfach und trotzdem, wie immer ausgezeichnet.

Dann erreichen wir wieder Istanbul. Unmittelbar, nachdem wir auf die D100 einbiegen, hat uns das Chaos wieder im Griff. Der Tank der G/S fasst knapp 20 Liter, locker ausreichend für 300 Kilometer, auch 350 sind kein Problem, dann wird es langsam eng. Und das wurde es. Wir befinden uns auf der Stadtautobahn. Links und rechts Leitplanken. Alle Tankstellen, die wir sehen, befinden sich jenseits der Begrenzungen. Sobald wir eine Ausfahrt nehmen, landen wir in irgendwelchen Gassen. Dann auch noch Stau. Ein gewohntes Bild, doch vor einer Kreuzung geht gar nichts mehr. Und der Motor läuft, im Leerlauf, verbraucht Sprit, den wir nicht haben. Auf einmal rast ein Konvoi mit blinkendem Blaulicht über die Hauptstraße vor uns, dann können wir weiter. Endlich, ich weiß nicht, wie lange schon auf Reserve, die rettende Tankstelle. 19,5 Liter passen in den Tank, recht viel später hätte die Zapfsäule nicht kommen dürfen.

In unserem Pass befindet sich ein Transitvisum für Bulgarien. Den Rückweg wollten wir nicht per Fähre antreten sondern den Autoput über Sofia und durch Jugoslawien nehmen. 1990 war der erste Golfkrieg. Der Irak wurde mit einem Embargo belegt, konnte kein Öl exportieren, keine Einnahmen erzielen. Bulgarien bezog sein Öl aus dem Irak. Da man in Bulgarien aber nicht einfach zu einer Tankstelle fahren konnte und dort bar zahlen, sondern mindestens 50 Liter in Benzingutscheinen kaufen musste, fuhren wir mit einem fast leeren Tank über die Grenze, um unmittelbar danach zu tanken und nochmals, wenn wir das Land verlassen.

Eine unglaublich grimmig blickende, fette Staatsdienerin saß in einem alten Container, in dem man diese Benzingutscheine gegen Devisen erhielt. „Nix Benzin“ waren ihre einzigen Worte. Wir gestikulierten herum, machten deutlich, dass wir tanken müssen, die Antwort: „Benzin Sofia – perhaps“. Nach Sofia sind es 350 Kilometer, wir hatten noch Sprit für 20 oder 30. Was tun? Eine Möglichkeit war, zurück in die Türkei, voll tanken, einen Kanister kaufen und dann durch Bulgarien. Dummer Weise war das Visum, das wir hatten aber gültig für eine Einreise und eine Ausreise, das heißt, wenn wir Bulgarien in Edirne wieder verlassen, war das Visum danach ungültig.

Eine sinnvollere Alternative, als doch wieder Fähre von Igoumenitsa zu wählen, viel uns nicht ein. Kurz nachdem wir in Bulgarien eingereist waren, reisten wir an der gleichen Grenze also wieder aus und das war es dann.

Der Griechische Grenzübergang, ebenfalls in Edirne ist praktisch nicht beschildert. Über Kopfsteinpflaster und Hinterhöfe fragten wir uns durch, bis wir endlich vor der Blau-Weißen Fahne standen. In der Türkei noch tankten wir, um beim ersten Geldwechsel in Griechenland festzustellen, dass heute die Banken bestreikt werden. Glücklicher Weise viel uns als zweite Möglichkeit noch die Post ein, auf der wir uns ein paar Drachmen für die nächsten beiden Tage besorgten. Dann ging es mehr oder weniger über dieselbe Strecke zurück. Wir stauten uns erneut durch Thessaloniki, passierten den Katara-Pass und ereichten Igoumenitsa zwei Tage später. Unser Schiff sollte am Folgetag gehen, für Deckspassagiere mit Motorrad findet sich auch immer noch ein Fleckchen auf dem sonst vollkommen ausgebuchten Schiff.

Diesmal waren wir routinierter und suchten uns gleich einen Schlafplatz in einer ruhigen Ecke im Inneren des Schiffes. Anlass zum Kopfschütteln gab dann die Einreiseprozedur. Stunden standen wir zusammen mit den anderen Passagieren im Self-Service Restaurant an, damit die Italienischen Zöllner endlich ihren Stemple in unsere Pässe drücken konnten. Man kann sicher viel über die EU schimpfen, die verkürzte Ein- und Ausreise sowie die einheitliche Währung in vielen Ländern ist für den Touristen eine Wohltat.

Meine betagte Italienkarte hatte sich endgültig in einzelne Fragmente aufgelöst, als ich sie kurz hinter Ancona passend zum Kartenfach in meinem Tankrucksack falten wollte. Jedes Mal frage ich mich aufs neue, was für Volldeppen mit der Konstruktion von Motorradzubehör, namentlich Tankrucksäcken, beauftragt werden. Mit Sicherheit Menschen, die noch nie in ihrem Leben eine Tour mit genau so einem Zubehör unterwegs waren. Glücklicher Weise ist die Orientierung in Richtung Norden nicht allzu schwer. Ein, zwei Mal hielten wir an einer Tankstelle, um dort in eine Karte zu blicken, ab dem Gardasee kannten wir die Strecke auswendig.

Eine Situation, wie in einem Loriot-Film, erlebte ich in Catolia noch im Süden Italiens, als ich in einer Bank Geld wechseln wollte. Der Schalterraum war vom Vorraum der Bank getrennt durch eine Drehtüre. Im Vorraum befanden sich reihenweise Schließfächer. Die Drehtüre selbst war gesichert durch einen Metalldetektor. Hatte man Metall an sich, blieb der Zugang zum Schalterraum verschlossen. Nun hat man als Motorradfahrer mit den ganzen Protektoren, Reißverschlüssen usw. aber sehr viel Metall an sich. Nachdem ich mich als letzten Schritt nur noch hätte nackt ausziehen müssen, um durch diese Drehtüre zu gelangen, gab ich auf. Ich fluchte, was das Zeug hielt, deutete auf die Türe, meine D-Mark in der Hand und zeigte irgendwann den kopfschüttelnden Mitarbeitern in der Bank den Vogel. Kurz, ich machte mich so richtig unbeliebt.

Anders, als heute, wo man noch im Kambodschanischen Dschungel mit einer deutschen Maestro Karte an einem Automaten Geld abheben kann, gab es 1990 nur die Möglichkeit, Bares zu tauschen. Ein Hotelbesitzer hatte schließlich Mitleid. In der Zeitung suchten wir nach dem richtigen Wechselkurs und kurze Zeit später hatte ich endlich die notwendigen Lira für die nächste Tankfüllung in den Händen.

Die Stimmung war nicht die beste nach diesen ganzen Zwischenfällen und ich gab als Antwort darauf ziemlich Gas, um die knapp 900 Kilometer nach München diesmal ohne Übernachtung zu schaffen. Es war schon Dunkel und wir frohren Mitte September auf dem Weg über die Alpen. Um halb 10 Uhr abends waren wir zu Hause. Das Motorrad ließen wir stehen, wie es war und gingen erst einmal etwas Essen, ironischer Weise zum „Italiener“ in unsere Stammkneipe ums Eck. Dort bei Pizza und Rotwein war die Welt wieder in Ordnung. Wir lachten über die Ereignisse der letzten Tage und blickten sehnsüchtig zurück auf unsere Zeit an der Türkischen Riviera, die Hochebenen Anatoliens und die vielen freundlichen Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen hatten.