Auf Türkischer Seite ein ähnliches Bild. “Alleman?” Ist die erste Frage. Als ich bejahe sagt man mir auf Deutsch. „Zuerst Doktor, dann Polizei da hinten, dann Zoll da vorne, dann wieder zu mir“. “Alles klar.” Frau Doktor misst neben eines spannenden Telefonates meine Temperatur. Scheinbar nicht von der Schweinegrippe heimgesucht gehe ich zur Polizei, hole meinen Einreisestempel und motze beim Zoll erst, nachdem sich der Dritte vorgedrängelt hat. Ich wechsle noch Geld, die BMW springt beim ersten Tritt an und oben auf der Agenda steht nun Gaziantep, die nächst größere Stadt.

Vom BMW Auslandsdienst erhielt ich einen Hinweis auf eine BMW Motorradwerkstatt zwischen Adana und Mersin, also in relativer Nähe. Nach der letzten Nacht in der Tankstelle, bette ich mein Haupt heute in einem Hotel in Osmaniye zur Ruhe, die Kuh schläft in der hoteleigenen Tiefgarage. Wenn die morgen mit Kicken nicht anspringt, dann Mahlzeit. Prompt ist dem Motor kein Mucks zu entlocken. Ich hüpfe auf dem Kickstarter herum und flute vermutlich die Zündkerzen mit Sprit. Es hilft nichts, Schieben ist angesagt. In der Tiefgarage auf dem glatten Boden aussichtslos, also muss die Kiste raus. Die Rampe rauf. Ein junger Hotelbursche muss dran glauben und wir schieben die BMW nach oben. Keine 10 Meter gerollt und der Boxer blubbert vor sich hin – warum nicht gleich so.

Ohne große Schwierigkeiten finde ich “BMW Borusan” auf Anhieb. Eine super moderne Werkstatt ganz im CI von BMW. Ich bin platt, als mir der Mechaniker dann auch noch erklärt, er habe die gleiche Maschine und kümmert sich sofort darum. Im luxuriösen Ausstellungsraum nehme ich Platz, schreibe im Tagebuch und trinke Unmengen von Tee. Mittags lädt man mich zum Essen in der Kantine ein und so vergehen die Stunden. Am Nachmittag bittet man mich dann zum Werkstattleiter, der perfektes Englisch spricht und mir vorschlägt, ich solle mir ein Hotel suchen, das kann hier noch ein paar Tage dauern. Sie finden den Fehler nicht. Nach kurzer Überlegung entschließe ich mich, weiter zu fahren. Ich bin jetzt 500 km weit gekommen, warum nicht 4.000? Wenn es wirklich nicht mehr geht, kann ich immer noch in eine Werkstatt gehen. Ab jetzt und mit jedem Meter weiter nach Westen, wird es leichter, eine solche zu finden.

Ursprünglich wollte ich mir auf dem Rückweg etwas mehr Zeit lassen, das ist das einzige, wo ich Abstriche mache. Urlaubsstimmung will nun nicht mehr so recht aufkommen, und für häufige Stops ist die Startprozedur zu aufwendig. Nicht immer springt der Motor sofort an. Besonders, wenn er richtig heiß ist, kann man den Kickstarter vergessen. Zahlreiche Tankwarte, die mir beim Schieben geholfen haben, können ein Lied davon singen. Die letzten Stunden bis Sonnenuntergang fahre ich an der Küste entlang und finde kurz vor Silifike einen Campingplatz, der in erster Linie türkische Dauercamper beherbergt. Hauszelte, zu wahren Burgen zusammengestellt, gammeln hier scheinbar schon Jahre vor sich hin. Der Blick auf’s Meer ist super, nach links oder rechts darf man sich allerdings nicht wenden. Mülltonnen und Hochhäuser bieten die Kulisse. Die Krönung ist ein Kettenkarussell, in dessen Nähe ich mein Zelt aufschlage. Es ist einfach der schönste Platz und ich denke mir, auf diesem Schrott fährt sowieso kein Mensch, das steht hier sicher seit Jahren und verrottet. Keineswegs! Kaum ist es Dunkel, erwacht es zum Leben. Bis 1 Uhr in der Nacht dreht sich das Ding unter lautem Getöse, begleitet von den letzten Hits aus den Türkischen Charts. Glücklicher Weise bin ich so müde, dass ich kaum etwas davon mitbekomme und starte gut ausgeruht sehr früh am nächsten Morgen.

Ab jetzt geht es wieder quer durch das Landesinnere hinauf nach Norden. Die D715 hinter Silifike gehört zu den schönsten Strecken, die ich auf dieser Reise gefahren bin. Bestens ausgebaut führt sie durch eine traumhafte, mediterrane Mittelgebirgslandschaft mit unglaublichen Ausblicken auf weite Täler und Berggipfel, die auch hier die 2000 Meter Marke deutlich übersteigen. In der Hochebene lasse ich es laufen. Motorräder dürfen in der Türkei 70 km/h fahren, ich bin mit 90 bis 100 unterwegs. Am Straßenrand stehen Schilder mit dem Hinweis „Radar“. Geradezu lächerlich, denke ich mir und werde prompt kurze Zeit später herausgewunken. Das darf nicht wahr sein! Tatsächlich erhalte ich einen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens. 128 Türkische Lira, also etwas über 60 Euro. Die beiden Polizisten sprechen nur Türkisch. Man händigt mir den Strafzettel aus und zeigt mir auf der Rückseite die in Englisch gehaltene Passage, wie und wo ich meine Strafe bezahlen kann. Für Ausländer: Am Zoll bei der Ausreise. Bin ich sauer!

Istanbul auch auf dem Rückweg zu durchfahren möchte ich mir nicht antun und wähle die Fährpassage über die Dardanellen bei Canakkale. So genau habe ich mich nicht informiert und folge dem ersten Schild Ferry Boat. Jetzt weiß ich, es gibt mindestens zwei Routen. Die direkte, auf dem kürzesten Weg von Canakkale auf die gegenüberliegende Seite und die, die ich gewählt habe. Kepez ein Stück den Kanal hinauf bis unterhalb von Yalova. Die Passage dauert zwar etwas länger, letztendlich bin ich aber froh, so ein wenig zu entspannen und genieße die Fahrt vorbei am alten Kastell und bestaune die Öltanker, die mit ihren haushohen Schiffswänden zum Greifen nahe an unserer Nussschale vorbeifahren.
Nach einer Stunde ist die Kreuzfahrt zu Ende und ich bin wieder in Europa. Ein ganz seltsames Gefühl beschleicht mich. Das Besondere dieser Reise, über die Ebenen Zentralanatoliens zu fahren, die unsägliche Hitze der Syrischen Wüste, die vielen Menschen, die mich zum Tee eingeladen haben, mir Fladenbrot schenkten und Tomaten, die Zöllner, die mir Tee während meiner Wartezeit servierten, das alles liegt auf der anderen Seite dieser Meerenge. Dann denke ich aber an die Länder, die noch vor mir liegen und freue mich ein Stück weit auch wieder darauf, nicht permanent über mehrere Zentimeter hohe Teerflicken, Asphaltschwellen und diesen nervigen groben Rollsplitt fahren zu müssen.

Als ich vor 20 Jahren das letzte Mal die Grenze nach Griechenland bei Ipsala überschritten hatte, parkten vor einem Verwaltungsgebäude, in das man zur Passkontrolle musste, zahlreiche Autos, ein paar Wohnmobile und meine BMW. Vollkommen überrascht komme ich heute an einen hypermodernen Grenzposten, der quasi im Fließbandsystem die gesamte Polizei- und Zollkontrolle erledigt. Vier Schlangen an Autos, meist auf dem Heimweg befindliche Gastarbeiter mit großteils deutschen Kennzeichen, stehen vor mir und es geht trotz der Akkordarbeit der türkischen Zöllner nur schleppend voran. Ich schalte den Motor aus. Wir haben locker 35 Grad und trotz Ölkühler möchte ich ihm eine Stunde Leerlaufbetrieb nicht zumuten. Er wird schon wieder anspringen.

Mein Vorsatz, den leidigen Strafzettel nur zu zahlen, wenn ich darauf angesprochen werde, verhärtet sich angesichts dieses Systems, doch auch das letzte Blauhemd scheint nichts zu wissen. Die BMW läuft und ich fahre über die Brücke hinüber nach Griechenland. Hier geht erst mal gar nichts und nach einer halben Stunde auf der Stelle stehend ist es mir schlicht Schnurze, was man von mir denkt. Ich schere aus der Reihe aus und stelle mich frech ganz vorne in die Schlange für EU-Bürger. Man kontrolliert mich nicht einmal, sieht nur die Außenseite des Passes mit dem Sternenkranz und winkt mich durch. Hinter mir ruft ein Deutsch-Türke: „Wird Zeit, dass wir auch in die EU kommen!“ und winkt mir nach...  >>weiter lesen