Istanbul kenne ich bereits sehr gut und so bleibe ich ca. 80 km vor der Stadt auf dem Campingplatz in Silivri. Westliche Touristen gibt es nicht, alles ist fest in Türkischer (Dauercamper-)Hand. Doch das ist vollkommen ok, sogar WiFi haben sie zu bieten.
Unter einem Baum steht ein alter Plastiktisch mit Stuhl, daneben ein Stromverteiler. Auf herrlich knusprigem Weißbrot kauend, Tomaten mit Käse in mich hineinstopfend kann ich so die Bilder auf das Netbook übertragen und den heutigen Eintrag in den Blog machen. Die Entscheidung für das Netbook war goldrichtig. Der 10“ Monitor ist für unterwegs vollkommen ausreichend und die permanente Suche nach Internetcafés entfällt.

Das GPS erweist sich in der 13 Millionen- Metropole zum ersten Mal auf dieser Reise als Gold Wert. Wie ätzend war es früher, ständig nach den Wegweisern Ausschau zu halten, irgendwie einen Blick auf den mikroskopisch kleinen Stadtplan im Tankrucksack zu werfen und in diesem abartigen Verkehr die Manöver der wild hupenden Fahrer vorauszuahnen. Selbst permanent bremsend, hupend und vor allem fluchend die kleinste Lücke für den vermeintlich entscheidenden Vorsprung nutzend.

Über den Bosporus führen drei Wege. Man könnte eine Fähre nehmen oder man nutzt eine der beiden großen Hängebrücken. Die 1. Bosporusbrücke ist die ältere der beiden und mit 1.560 Metern 50 Meter länger, als die 5 km nördlich gelegene Fatih-Siltan-Mehmet-Brücke. Beide sind mautpflichtig.

Das charmante an der 1. ist, dass die Bezahlung nur per Funk oder vorher (!) zu erwerbender Magnetkarte geht. Natürlich wähle ich diese, ohne eine Magnetkarte zu besitzen. Voller Optimismus rolle ich auf die Absperrungen zu und sehe, dass an den Durchfahrten für die Funkabbuchungen keine Schranken sind. Warnschilder mit den schlimmsten Drohungen missachtend und vorbei an Video-Überwachungskameras registriere ich ein lautes Piepsen, dann bin ich in Asien – mautfrei.

Zu diesem kleinen Erfolgserlebnis gesellt sich ein zweites, der in sturmstärke blasende Wind kommt jetzt von hinten. Bei Arifiye drehe ich das Ruder nach Steuerbord und fahre nun in südliche Richtung. Dies trägt dazu bei, dass der Spritverbrauch mit einem Mal um einen satten Liter nach unten geht. Bei einem Preis von sage und schreibe 2,10 € für den Liter Benzin ein durchaus willkommener Effekt.

Afyonkarahisar, kurz Afyon, die Opium-Stadt, erreiche ich am frühen Nachmittag. Noch rechtzeitig, den steilen und beschwerlichen Weg hinauf zur Burg anzugehen. Es handelt sich um eine von den Hetitern um 1350 v.Ch. errichtete Befestigungsanlage auf einem 226 Meter hohen Felsen. Von der Festung selbst ist außer ein paar Mauerringen praktisch nichts übrig geblieben. Der Blick von dort oben auf Afyon und das Hinterland ist dagegen traumhaft.

Die Routen hatte ich zu Hause bereits auf das GPS übertragen. Vor der Landkarte sitzend, mit dem Mauszeiger erst rote, dann gelbe und schließlich weiße Straßen wählend, hat man nicht wirklich eine Ahnung, was einen erwartet. Als mich das Navi dann von einer Hauptstraße direkt auf einen Feldweg leiten möchte, denke ich zuerst an einen Irrtum meines digitalen Beifahrers. Erst, als es das einige hundert Meter bei einem zweiten Feldweg wieder möchte, fällt mir meine Planung zu Hause wieder ein und ich weiß nun, dass die weißen Straßen auf der Landkarte tatsächlich auch weiße Schotterstraßen in der Realität sind.

Der Weg führt durch das Paradebeispiel eines kleinen türkischen Bauerndorfes. Niedrige, einstöckige Häuser mit Flachdach, Tränken für das Vieh, vereinzelt ein paar Ziegen. Die Frauen tragen warme Jacken über so etwas, wie Pumphosen, die in dicken Wollsocken stecken und diese wiederum in klobigen Schuhen. Das muss ich fotografieren, denke ich mir. Erfahrungsgemäß genügt es, einfach anzuhalten. Immer kommen die Leute zu einem und fragen mit einer freundlichen Neugierde, woher und wohin es gehen soll. Daraus entwickelt sich meist ein nettes Gespräch an dessen Ende man dann vollkommen ungezwungen ein paar Fotos machen kann. Nicht so hier.

Noch langsam auf dem einzigen Weg durch das Dorf rollend, sehe ich aus dem Augenwinkel Hunde auf mich zu rennen. Laut bellend, riesen Viecher. Ich gebe Gas, passiere das nächste Haus, da kommen neue hinzu. Ein Dutzend dieser Köter sind mir auf den Fersen, die Mäuler weit aufgerissen, Zähne, wie Speerspitzen. „Die meinen es ernst“ schießt es mir durch den Kopf. Hier und jetzt muss ich nicht unbedingt die Wirksamkeit meiner Tollwut-Schutzimpfung testen. Ich gebe Gas, richtig Gas. Lieber Gott, bitte lass jetzt keine Spitzkehre kommen, denke ich mir, als ich die BMW über den Schotterweg treibe.

Die Sache verläuft glimpflich. So hungrig sind die Kammeraden dann doch nicht, dass sie auf Dauer 80 km/h durchhalten.

Quasi durch das Hintertürchen erreiche ich Emirdag. Und hier passiert dann genau das, was ich mir in dem kleinen Dorf bildhaft vorgestellt hatte. Vor einem Teehaus mache ich Halt, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Es dauert keine 10 Sekunden, da kleben die ersten Gesichter an der Scheibe. Eine weitere Minute später geht schon die Tür auf und es ruft mir einer zu „Cay!“ – Tee! Dabei winkt er stürmisch. Gerne nehme ich die Einladung an. Einer der Gäste hat lange Jahre in Belgien gearbeitet und spricht Französisch. Mit ihm kann ich mich ein wenig unterhalten und die immer gleichen Fragen beantworten. Einladungen zum Tee kommen noch viele. Fast immer beim Tanken, beim Fragen nach dem Weg, beim Kaufen von Obst. Es ist einfach unbeschreiblich, ja fast schon beschämend, wie herzlich und gastfreundlich die Menschen sind.

Erdverschiebungen in Zentralanatolien sorgten für eine starke Erosion, die heute das Bild der Tufflandschaft Kappadokiens prägt. Inmitten dieser Landschaft liegt als bekannteste Stadt Göreme. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne nutze ich, die eigenartige Atmosphäre dieser Landschaft festzuhalten. Bizarre Gesteinsformen, verbunden mit den Schattenspielen im letzten Tageslicht erwecken den Eindruck, als sei der Fels lebendig.

Jeden Morgen um 6:00 Uhr starten hunderte von Heißluftballons zu einer Fahrt über Göreme. Sitze ich selbst schon nicht in einem der Körbe, will ich mir dieses Schauspiel jedoch auf keinen Fall entgehen lassen. Es ist saukalt, als ich kommenden Tags zu dieser unchristlichen Zeit aus dem Schlafsack krieche. Tatsächlich ist der Anblick spektakulär. Die Ballons sind riesig. Einige ziehen nur wenige Meter über mir langsam ihre Bahn hinüber zu den Türmen aus Tuffstein.

Das frühe Aufstehen hat seine Vorteile. Bereits um sieben ist das Zelt verstaut und auch ich könnte jetzt mein Besichtigungsprogramm starten, wenn ich wüsste, wo. Zwar findet sich auf den kopierten Seiten meines Reiseführers eine grobe Skizze der gesamten Region, doch wo fängt man bei einer Region bitteschön an?
Für Hilfe sorgt ein älteres Ehepaar aus Berlin: „De Burch musste da unbedingt ankiken und wat och noch jans Klasse is, is da Blick von da hintn“. Meine Entscheidung für den Startpunkt fällt auf „da hintn“. Diese durch einen ausgestreckten Arm noch etwas präzisierte Ortsangabe beschreibt einen Weg, der sich an der Abrisskante oberhalb von Göreme hinzieht. Auf einem Wegweiser findet sich der Hinweis zum „Freilichtmuseum“. Die BMW stelle ich auf dem dazugehörigen Parkplatz ab und starte in der immer noch kalten Luft das erste Mal auf dieser Reise das Projekt „Sightseeing“.

Es waren die ersten Christen, die begannen, in das Gestein Höhlen zu schlagen. Die Landschaft bot das ideale Terrain, um sich vor den Feinden verstecken zu können. Teilweise bis zu 10 Stockwerken tief schuf man ganze „Wohnblocks“ mit allem, was dazu gehörte. Am beeindruckendsten aber sind die Kirchen. Mittel- und Seitenschiff, Säulen, Apsiden, alles ist aus dem Stein herausgearbeitet. Die Wände glatt, teilweise verputzt und mit Fresken reich verziert.

Zwei Stunden reichen mir, um mich davon zu überzeugen, dass die Menschen hier vor 1500 Jahren ganze Arbeit geleistet haben. Die digitale Kompassnadel meines GPS zeigt stur nach Osten. Develi ist der erste Zwischenstopp, die Strecke dorthin in der Landkarte als „Landschaftlich besonders schön“ gekennzeichnet. Die Straße passt sich der Mittelgebirgslandschaft perfekt an. Links und rechts stehen Obstbäume und als ich um eine Kurve biege, sehe ich einen riesigen Berg am Horizont. Fast symmetrisch aufgebaut ziehen sich von beiden Seiten lange, immer steiler werdende Flanken zum Gipfel. Auf ihm thront, wie das Pünktchen auf dem i eine Wolke. Es ist der 3.917 Meter hohe Erciyes. Mir steht der Sinn danach, dies auch fotografisch festzuhalten und selbst mit auf dem Bild zu erscheinen.

Notwendig für diese Art von Motiven ist es, jedes Mal das Stativ auspacken, Kamera positionieren Selbstauslöser einstellen und dann so oft vor der Linse auf und ab zu fahren, bis eines der Bilder tatsächlich Mann und Maschine zeigt. Die Nikon kann auch filmen und meist versuche ich bei der Gelegenheit, gleich noch ein Video aufzunehmen. Es versteht sich, dass die Kamera dazwischen wieder neu positioniert werden muss, der richtige Ausschnitt gewählt, usw. Kurz: Jeweils ein durchaus zeitaufwändiges Unterfangen, das zudem durch Selbstgespräche untermalt wird.

Als ich dann glücklich alles „im Kasten“ habe, will ich schon dem Ruf der Natur folgen und angesichts der Einsamkeit kurz hinter einem Busch verschwinden, da sehe ich, gegenüber einen Mann im Hang sitzen. Ein Typ im Tarnanzug, dunkle von der Sonne gegerbte Haut und Stoppelbart. „Wie lange sitzt der denn da schon?“ Frage ich mich, da kommt der Knabe auch schon den Hügel herunter. Die Baseballkappe hat er nach hinten geschoben und die Kalaschnikow geschultert. Für den Fall, dass es mal länger dauert, finden sich in seinem Gürtel zwei Ersatzmagazine. Die Schulterklappen zeigen keinerlei Abzeichen und an den Füßen trägt er schwarze Turnschuhe. Der Eindruck drängt sich mir auf, dass es sich wohl um einen Milizionär handelt, der hier in der engen Schlucht vor dem nächsten Ort Wache schiebt.

Ihm eine lautes „Merhaba – Hallo“ entgegen rufend, verkneife ich es mir, jetzt besagten Busch aufzusuchen. Vollkommen unbeeindruckt von meinen fehlenden Sprachkenntnissen plappert er in bestem Türkisch auf mich ein. Meine Antwort ist „Alman – Deutscher“. Ich grinse ziemlich blöd, zucke mit den Schultern, als sein türkischer Redeschwall gar nicht endet und beschreibe ihm jetzt meinerseits auf Deutsch, was ich hier mache. Dann setze ich den Helm auf und rufe zum Abschluss ein freundliches „Allaha ismarladik! – auf Wiedersehen!“. Ich bin in Kurdistan.

Der Nemrut Dagi ist das Ziel für heute. Ein Berg, weit im Osten der Türkei, bekannt für seine großen Steinköpfe auf dem Gipfel. König Antiochos I. Theos kam auf die geniale Idee, den Gipfel abtragen zu lassen, sich dort zur letzten Ruhe zu begeben und anschließend über sich wieder einen riesen Schuttkegel errichten zu lassen. Nichts für Kurzatmige, weder damals noch heute. Der Berg ist mit 2206 Metern immerhin eine der höchsten in der Region.

Die Strecke nach Osten führt entlang des Taurus Gebirges hinunter zum Attatürk Stausee. Wie in einem Breitbandfilm eröffnet sich hinter jeder Kurve ein neues, atemberaubendes Panorama. Atemberaubend ist dann auch die Fähre.
Die BMW steht ganz vorne auf der heruntergeklappten Laderampe. Wenn der Captain gegen einen der Hügel rumpelt, die man knapp unter der Wasseroberfläche noch sieht, macht es einfach Plumps und ich gehe ab sofort zu Fuß.

Diyarbakir, Die Hauptstadt Ostanatoliens, erreiche ich bereits mittags. Bei meinem rechten Stiefel ist eine Naht aufgegangen und ich möchte diesen irgendwo richten lassen. Quer durch die Gassen der Altstadt geleitet mich ein Mitarbeiter des Hotels auf den Bazar, wo sich stilecht in einem der Läden hockend ein alter Schuster meines Endurostiefels widmet. Er muss sich ziemlich quälen und etliche Nähnadeln brechen ihm in der fußbetriebenen Nähmaschine auch noch ab, so dass mir der Preis von gerade mal 2 Euro schon fast peinlich ist.

Als ich tags drauf durch eine Schlucht fahre, sehe ich in einiger Entfernung, wie ein Auto ein anderes halsbrecherisch überholt und an den Straßenrand drängt. Die Türen fliegen auf, aus dem abgedrängten Auto springen Leute, einer rennt davon. Die restlichen heben die Hände, werden von den Insassen des zweiten Wagens auf den Boden gedrückt und mit Kabelbindern gefesselt. Das ganze ging so schnell, dass ich gerade an der Stelle vorbei komme, als einer die Verfolgung des Flüchtigen aufnimmt. Was war das denn? PKK, Terroristen, Bombenleger oder einfache Kriminelle?

Auf der Nordseite des Vansees liegt Ahlat. 18000 Grabsteine stehen dort mehr oder weniger windschief auf einem Friedhof gewaltigen Ausmaßes. Etwas nördlich fand 1071 die Schlacht von Manzikert statt, in der die türkischen Seldschuken das byzantinische Heer schlugen. Der Legende nach soll der Befehlshaber der Seldschuken, Alp Arslan, nach gewonnener Schlacht zum Himmel geblickt und dort den sichelförmigen Mond gesehen haben. Die Geburtsstunde der Türkischen Flagge.

Es ist der letzte Tag in der Türkei. Ziel ist Dogubayazit, 35 Kilometer vor der Iranischen Grenze. Dort gibt es neben etlichen Kasernen auch etwas Kulturelles zu sehen, den Ishak Pasa Palast. Hoch über der Stadt gelegen folgt er in seiner Gliederung einem berühmten Vorbild, dem Topkapi Palast in Istanbul.

Hotels gibt es in Dogubayazit genug. Die Wahl fällt auf das Grand Derya Hotel, etwas zurückgesetzt mit einem großen Hof für die BMW. Die Rezeption ist mit dunklem Holz vertäfelt, schwere Teppiche bedecken den Boden und gewaltige Ledersessel stehen in der Lobby. In einem der Sessel, direkt unter dem Portrait von Atatürk, sitzt dessen Großvater. Ein uralter, kleiner, klappriger Türke in einem makellosen dunkelblauen Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Aus der Westentasche hängt das Uhrarmband, auf dem Kopf der schon lange abgeschaffte Fez. Im Geburtsjahr des Türken wurde der Hotellift installiert, der mich auf die 4. Etage befördert.

Bevor ich von meinem Balkon den mitgekauften Ararat-Blick genieße, starte ich zur Nahrungsaufnahme. Die Suche nach einem möglichst ursprünglichen Lokantasi – wobei es hier nur ursprüngliche Lokantasis gibt – bringt mich in ein kleines, schlauchförmiges Restaurant. Auf meinem Teller schwimmen kurze Zeit später gefüllte Auberginen in Öl. Der dazu gereichte Reis und die Brotscheiben dienen zur Abschwächung des Ölunfalls. Gemütlich eine Zigarre auf dem Balkon rauchend und Cola in mich hineinschüttend, den Blick auf den Ararat gerichtet, scanne ich sozusagen den Gipfel auf der Suche nach dem potenziellen Ankerplatz der Arche Noah, die dort gestrandet sein soll.

Unmittelbar gegenüber, zum Greifen nahe steht ein Minarett. Einer der Lautsprecher ist bedrohlich auf mich gerichtet. Auf einmal ein Knacken, dann geht es los. In einer abartigen Lautstärke informiert mich der Muezzin, dass jetzt die Zeit zum Gebet gekommen ist. Mir wird klar, einen Wecker brauche ich morgen in der Früh definitiv nicht... >>weiter lesen