Der Asphalt reicht genau bis zum Grenztor auf iranischer Seite. 10 Meter dahinter winkt mich ein Mann mit schwarzem Umhang heraus und schickt mich in eine Lehmhütte, die Polizeistation. Es gibt Computer, fast bin ich überrascht. Dass man mich mit “Heil Hitler” begrüßt, finden nur die anderen witzig. Wieder im Freien drängen sich mir ein paar Geldwechsler auf. Aus den letzten Rial und 20,- USD werden Pakistanische Rupien.

Der Grenzort heißt Taftan, ein Dreckloch und das schmeichelt ihm noch. Die Unterschiede zum Iran sind unbeschreiblich. Doch alle sind super freundlich, erkundigen sich nach meiner Reise und zeigen sich immer wieder verständnislos, dass ich alleine fahre. Um kurz nach vier bin ich mit den Formalitäten durch. Bis zur Weiterfahrt muss ich jedoch wieder auf eine Eskorte warten.

Bis Quetta, der Provinzhauptstadt von Belutschitan, sind es knapp 650 km entlang der Afghanischen Grenze. Ein ziemlich heißes Pflaster, weswegen die westlichen Touristen auch ausnahmslos mit bewaffnetem Begleitschutz fahren müssen. Startet man in der Früh, erreicht man Dalbandin, etwa auf halber Strecke liegend und die einzige Stadt mit Hotel, am Nachmittag. Ich möchte versuchen, morgen in einem Rutsch bis Quetta zu fahren. Nach kurzer Sichtung des einzigen Hotels in Taftan nehme ich das Angebot, im Hof der Grenzpolizei, der „Balochistan Levies“, zu übernachten, sehr gerne an. 20,- Dollar will der Wirt für eine verwanzte Bretterliege mit versifftem Bad. Für den gleichen Preis habe ich im Iran in einem 4-Sterne Hotel geschlafen.

Also sitze ich bei den Levies im Hof und lasse meinen Blick über Autowracks und sonstigen Schrott streifen. In dem flachen Gebäude gegenüber und links von mir befinden sich vergitterte Zellen. Eine ist sogar belegt.
Wie eine Mutter zu ihrem Kind, sagt man mir kurz nachdem es dunkel wird, ich soll mir die Hände waschen und zum Essen kommen. Um eine Blechschüssel mit irgendeinem scharfen Linsengericht sitze ich zusammen mit den Polizisten auf dem Boden und schaufle mit der Hilfe von Fladenbrot hungrig den scharfen Brei in mich hinein. Entlang der Wände stehen die Kleiderkisten, auf dem Boden ein uralter, kleiner Fernseher. Nach dem Essen wird mir ein Logenplatz zugewiesen.

Die “Balochistan Levies Forces” sind eine Art paramilitärische Polizeitruppe, deren Angehörige aus der jeweiligen Region kommen. Angeblich sind sie besonders treu und verlässlich.

Die Eskorte erscheint um kurz vor sieben in der Früh. Ein Levie auf einem Moped, die Kalaschnikow geschultert. Ich folge ihm bis zu einem Posten etwas außerhalb von Taftan. Meine Daten muss ich in ein großes Buch eintragen, dann heißt es warten auf was weiß ich. Direkt neben mir steht ein MG auf einem Dreibein. Durch einen Spalt in der Mauer zielt der Lauf hinaus in die Ferne.

Nach 10 Minuten kommt meine Begleitung, führt mich zum Motorrad, reicht mir die Hand und meint: „Escort finished, good luck!“ Die Nagelkette wird auf die Seite gezogen und vor mir liegt die Wüste Belutschistans. Ich bin allein.

Vollkommen überrascht von der Situation gebe ich Gas, doch der Straßenzustand ist grausam. Tiefe Schlaglöcher, die Teerdecke aufgerissen und Sandzungen über der Fahrbahn erlauben keine allzu hohes Tempo. Rechts neben der Straße verläuft die Bahnlinie. Die Stationen festungsähnlich ausgebaut, die meisten jedoch verfallen. Oft sind es nur noch die Mauerkronen, die aus den Sanddünen herausspitzen.

Nach gut 200 km ist es vorbei mit freiem Fahren. Man ist unerbittlich und setzt mir einen Pick-up vor die Nase. Darin ein paar Levies mit Kalaschnikows. Die Einheiten lösen sich ab. Alle paar Kilometer muss ich meine Daten in Bücher eintragen. Quetta erreiche ich nach 15 Stunden. Von der letzten Truppe lasse ich mich zum Hotel Bloomstar führen.

Überall ist starke Polizeipräsenz und meine Komfortzone habe ich schon lange verlassen. Touristen müssen ab 18:00 Uhr im Hotel sein und dürfen nicht mehr auf die Straße. Vor kurzem hat ein vollkommen verblödeter Amerikaner bei YouTube ein Video eingestellt, in dem Mohammed beleidigt wird. Weltweit ist der Islam in Aufruhr, besonders in Pakistan. Man erzählt mir, dass der Mob versucht hat, letzte Woche das Kino gleich hier in der Nachbarschaft anzuzünden. der Grund: Dort werden auch westliche Filme gezeigt.

Für die Weiterreise benötigt man eine besondere Erlaubnis, ein NOC. Zu erhalten bei der Regierung von Belutschisten. Schließlich sitze ich dem stellvertretenden Gebietskommandanten gegenüber. Er gibt mir die Genehmigung, allerdings – und das haut mich fast um – über Karachi per Bus! Dass die direkte Strecke im Norden für Touristen gesperrt ist, wusste ich, doch Karachi bedeutet einen zusätzlichen Umweg von 1000 km und wie die BMW auf das Dach des Busses kommen soll, daran möchte ich jetzt noch gar nicht denken.

Im Hotel dann so etwas, wie Entwarnung. Die drei Brüder, die das Bloomstar leiten erzählen mir, vor ein paar Tagen sei es einem Franzosen genauso gegangen. Sie helfen mir, organisieren einen Kran und regeln das mit dem Ticket. Abends erscheint ein Schwede im Hotel, Pontus, ebenfalls mit Motorrad. Er ist die Strecke ohne Eskorte von Taftan nach Nok Kundi noch am Nachmittag gefahren und tatsächlich wurde er überfallen. Dass man ihm nur ein paar Dollar abgenommen hat, war noch Glück.

Im Büro der Busgesellschaft dann noch mal ganz großes Kino. Man hatte mich mit einer Eskorte abgeholt - ab 18:00 Uhr ist Ausgangssperre für Touristen – und in den hintersten Winkel des kleinen Raumes gesetzt. Herein kommt der Polizeichef und meint, ich könne mit dem Nachtbus nicht fahren, das sei zu gefährlich. Mir fehlen die Worte. Die BMW ist bereits auf dem Dach, eingekeilt zwischen irgendwelchen Stoffballen und mir wird hier in Quetta langsam unwohl, ich möchte raus aus Belutschistan. Alles Lamentieren hilft nichts, eine weiter Nacht verbringe ich hier im Hotel, um am kommenden Morgen endlich nach Karachi aufzubrechen.

Als der Bus dort eintrifft, ist es bereits dunkel. Die BMW steht unbeschadet am Busbahnhof, 12 km außerhalb der Stadt. Karachi ist die größte Stadt Pakistans und die siebtgrößte Asiens. Das Fahren bei Nacht ist der blanke Horror. Löcher in der Straße, offene Kanalisation, unbeleuchtete Fahrzeuge, Hunde- und sogar Rinderkadaver liegen auf der Fahrbahn. Der Gegenverkehr fährt nur aufgeblendet, man sieht nichts. In meinem GPS habe ich genau ein Hotel. Mit 65,- Euro deutlich über meinem Budget, doch ich werde jetzt nicht anfangen, ein anderes zu suchen.

Am kommenden Morgen bessert sich meine Stimmung mit jedem Meter. Endlich wieder auf dem Bike unterwegs! Habe ich mich gestern noch gewundert, woher mitten in der Stadt die Rinderkadaver auf der Straße kommen, kenne ich jetzt den Grund. Die Viecher fressen hier den Müll am Straßenrand.

Entlang des Indus gibt es zwei Straßen. Westlich den Indus Highway, östlich die M5. Letztere ist deutlich besser ausgebaut. Das merke ich, als ich mich entschließe, in Sukkor auf die Westseite zu wechseln. Für die 50 km lange Baustelle kann niemand etwas, doch der Indus Highway ist vom Straßenzustand her einfach grausam. Hinzu kommt, dass er teilweise durch ein Überschwemmungsgebiet führt. Links und rechts der Straße steht alles unter Wasser. Direkt neben der, wie auf einem Damm verlaufenden Fahrbahn, stehen Zelte mit den verblichenen Buchstaben UNHCR. Darin Menschen in Lumpen. Mitten auf dem Asphalt vor den Brücken sitzen Bettler und halten die Hand auf. Die meterhohen Reifen mit den tonnenschweren Lkws rollen nur wenige cm an ihnen vorbei.

In der nächsten Stadt auf einmal Stau. Eine lange Schlange von Lkws steht links am Fahrbahnrand. Ich fahre vorbei und sehe Feuer auf der Straße brennen. Eine Menschenmenge steht davor, schreit etwas, hebt die Fäuste. Ein Pakistani auf einem Moped deutet mir, ich solle umdrehen, ihm folgen, schnell. Durch die hintersten Winkel der Kleinstadt geleitet er mich um die Demonstration herum. Dann merke ich es. Mein Pass liegt noch in Sukkur. Ich hatte ihn an der Rezeption vergessen. Es lässt sich nicht ändern, also alles wieder zurück. Als ich das Hotel erreiche, sehe ich aus, wie ein Schwein. Von oben bis unten voll Staub, verschwitzt und schlicht fertig mit der Welt gehe ich duschen – in kompletter Montur.

Pakistan war das Land, vor dem ich schon bei den Vorbereitungen den meisten Respekt hatte. Hier in diesem Spannungsumfeld, zusätzlich geschürt durch das beleidigende YouTube-Video über Mohammed, alleine unterwegs zu sein, dazu der schlechte Straßenzustand, der Verkehr, die Hitze, all das belastet mich mehr, als ich mir selbst zugestehe. Ich merke es abends nach diesem Tag im Hotel.

Als ich den Punjab erreiche, spüre ich eine Veränderung bei den Menschen. Nett und freundlich waren sie schon die ganze Zeit doch jetzt sind sie offener, herzlicher. Wie mir Pakistan gefällt, will einer wissen. „Gut“ sage ich, „wobei, Belutschistan war schon heftig.“ Da antwortet er: „Ja, Belutschistan, aber hier im Punjab ist es doch fast, wie zu Hause.“ Wir lachen und mit einem Klaps auf die Schulter verabschiedet er sich.

In Multan beginnt sich ein neues Problem abzuzeichnen, diesmal ein technisches. Nachdem ich am Vorabend bereits einen gerissenen Kupplungszug ausgetauscht hatte, (der erste nach 150.000 km - ich hatte Ersatz)  macht die BMW beim Start in der Früh auf einmal Bocksprünge. Erst denke ich, die haben mir an der Tankstelle Diesel verkauft aber nach ein paar Metern läuft die Gummikuh wieder, wie ein Uhrwerk. Doch das Phänomen kommt wieder. Bei niedrigen Drehzahlen stottert der Motor. In Lahore wird es so schlimm, dass ich intensiv auf die Suche gehe und eine gerissene Vegasermembrane entdecke. Ich flicke sie mit Isolierband, glaube jedoch nicht, dass es nur daran liegt. In diesem Zustand 1500 km weiter nach Norden in den Karakorum zu fahren ist mir zu heikel. Ich beschließe, Pakistan zu verlassen und gleich am nächsten Tag über die Grenze die paar Kilometer nach Amritsar in Indien zu fahren. Dort sollte es leichter sein, Ersatzteile zu bekommen oder welche zu ordern... >>weiter lesen