Eher aus einer “Zwangslage” heraus unternahm ich diese Reise Ostern 1993. Eine sehr angenehme Zwangslage, handelte es sich um Urlaubstage aus dem Vorjahr, die genommen werden mussten.
Marokko ist ein Land, das ohne akribische Vorbereitungen einfach und schnell zu bereisen ist. “Schnell” in der Bedeutung der Planung, nicht des Landes selbst. Viele Länder habe ich zwischenzeitlich gesehen. Marokko gehört aber sicher zu den landschaftlich attraktivsten und in Nordafrika zu den am angenehmsten zu bereisenden. Wegweiser sind in lateinischer Schrift, die Menschen sprechen Französisch, teilweise Englisch, all das vereinfacht das Reisen.
Das Visier ist absolut dicht. Ich sehe nichts. Es schneit wie im tiefsten Winter dicke, weiße Flocken. Zu Hause wäre es jetzt sicher gemütlich. Was mache aber ich, fahre hier in Österreich herum, auf dem Weg nach Marokko. Es ist der 17. April 1993. Zwei Wochen Resturlaub aus dem Vorjahr müssen genommen werden. Was bleibt also anderes übrig, als Nordafrika. Die Anfahrt über Italien, Frankreich und Spanien sollte in drei Tagen zu schaffen sein. Eine Woche für Marokko ist zwar nicht üppig aber noch im Rahmen.
Jetzt stehe ich aber hier in Reutte an der österreichischen Grenze und kann auf der Fernpassroute unmöglich weiter. Also zurück nach Garmisch und über die Brenner-Autobahn nach Italien. Ab dem Gardasee wird es endlich besser. Die Regenkombi wandert in die Gepäckrolle und nachmittags schlürfe ich bereits Espresso in der Sonne auf der Höhe von Turin. Diese und auch die kommende Nacht suche ich mir einen Platz zum wild Zelten. Alleine unterwegs, ohne den Geruchs-Check etwaiger Mitreisender denke ich mir, dass zwei Tage ohne duschen - zumal bei diesen noch moderaten Temperaturen - durchaus in Ordnung sind.
Alleine zu fahren stört mich nicht, nur einmal komme ich in eine blöde Situation, als mir gleich am Morgen nach der zweiten Übernachtung in der Früh beim losfahren die BMW in kaltem Zustand einfach abstirbt und ich mit der ganzen Fuhre umfalle wie ein Sack Reis. Es war einer dieser Wege, bei denen Autos links und rechts eine Spur gegraben haben und in der Mitte eine kleine Kuppe entstanden ist. Genau auf dieser passiert das Malheur. Die Beine baumeln im Freien und plumps. Fluchend fummle ich unter der Kiste liegend den Tankrucksack herunter, kann dann hervor kriechen und die Fuhre wieder aufstellen.
Genial ist das Fahren in Spanien. Genau auf dem Scheitelpunkt einer jeden Kurve steht das Schild „Überholverbot Ende“ und gibt einem den Hinweis, jetzt Gas geben zu können. Die Strecke zieht sich aber doch, wie Kaugummi. Die letzte Nacht schlafe ich kurz vor Almeria von wo aus ich die Fähre nach Melilla nehmen möchte. Ein kühles Bier am Abend und eine traumhafte Aussicht lassen die lange Anfahrt bis hier her vergessen.
Am Morgen des vierten Tages stehe ich am Ticketschalter der Transmediterranea Lines, die mich mit einem wasserdichten Schiff auf den anderen Kontinent bringen soll. Drückt mir doch dieser Mensch am Schalter tatsächlich eine Kabine aufs Auge. Meine beharrliche Frage nach Deckspassage – es sind gerade einmal 6 Stunden Fahrt, tagsüber – bleibt erfolglos. Einziger Vorteil: Als erster in der Kabine dusche ich ausgiebig, rasiere mich und bringe meine Sachen etwas auf Vordermann. In der Kabine selbst stinkt es, wie im Klo auf dem Oktoberfest nach elf Uhr abends. Nach dem Duschen verlasse ich daher die Bleibe und gehe erst einmal an Deck. Auf dem Schiff bin ich wohl der einzige Biker. Andere Motorradfahrer sind nicht auszumachen. In der Bar schreibe ich meine Tagebucheinträge und lasse mir einen Teller Paella schmecken, als der Kapitän mit seinen Mannen an mir vorbei läuft. In ihren schneeweißen Uniformen passen sie so gar nicht zum dem dreckigen Kahn hier.
Melilla erreiche ich am frühen Nachmittag. Die Stadt ist noch Spanisch, was das Ausschiffen deutlich beschleunigt. Auf der Suche nach dem Campingplatz halte ich bei einer Gruppe anderer Motorradfahrer und wir kommen ins Gespräch. Sie sind auf dem Rückweg und nehmen das Schiff, mit dem ich gerade gekommen bin. Einer, Robert, fragt mich welche Route ich geplant hatte und entschließt sich kurzerhand mich zu begleiten. Er hat noch zwei Wochen Urlaub und die Strecke an der Algerischen Grenze hinunter, die ich gerne nehmen möchte, sind sie nicht gefahren.
Am nächsten Morgen beginnt für uns die Einreiseprozedur nach Marokko. Einer dieser Schlepper spricht uns an und lotst uns durch die verschiedenen Büros. Für Marokko ist eine eigene Kfz-Versicherung notwendig, falls es auf der grünen Versicherungskarte nicht aufgeführt ist. Diese erhält man noch in Melilla, direkt an der Grenze. Ein Witz ist die Landkartenkontrolle. Die Marokkaner gestatten keine Einfuhr oder Verwendung von Landkarten, auf denen eine Grenze zur Westsahara eingezeichnet ist. Glücklicher Weise entspricht die Michelin-Karte Nummer 969 den strengen Auflagen.
Die Planung habe ich zu Hause anhand des Reiseführers „Marokko“ von Erika Därr aus dem Reise Know-How Verlag durchgeführt. Die Route sollte von Melilla über Berkane und weiter über die westlichen Ausläufer des Rif Gebirges nach Oujda führen, anschließend direkt nach Süden. Die Route plante ich letztendlich deswegen so, weil ich Schauermärchen darüber gelesen hatte, was Reisenden im Rif Gebirge, von Tanger kommend, alles passiert ist.
Der Besitz von Rauschgift ist strengstens verboten und mit drakonischen Strafen belegt. Immer wieder sei es passiert, dass Reisende von Rauschgifthändlern aufgehalten wurden, mit Gewalt gezwungen wurden, Hasch oder andere Drogen zu „kaufen“ und wenige Kilometer später die Polizei stand, die nur gegen die Bezahlung von immensen Schmiergeldern davon absah, den „Drogenschmuggler“ vor ein marokkanisches Gericht zu stellen. Überflüssig zu betonen, dass die Banden mit den „Ordnungshütern“ Hand in Hand arbeiten. Auf dieser, von mir geplanten Route sollten solche Wegelagereien nicht vorkommen und tatsächlich überqueren wir das Gebirge vollkommen unbehelligt.
In Oujda tanken wir noch einmal voll, setzen uns zu einem Kaffee und starten dann in Richtung Wüste. War es im Gebirge bereits diesig und clam, so ist es nun richtig ungemütlich. Wind kommt auf, der sich zu einem Sturm entwickelt. 50 Kilometer weiter wird der Tag zur Nacht. Sturmböen treiben den Sand quer über die Strasse, die Sichtweite sinkt auf wenige Meter. Zusätzlich beginnt es nun auch noch zu regnen und wir sind froh, am späten Nachmittag Ain Benimathar zu erreichen. Tatsächlich existiert hier ein Hotel. Vorne an der „Hauptstrasse“ befindet sich das Restaurant, in dem die gesamte Dorfjugend auf einem unglaublich alten Tisch Billard spielt. Dahinter ein Hof, umgeben von Mauern, Zimmern und Verschlägen, den man durch ein riesiges Tor betritt.
Unser Zimmer muss erst noch „bezugsfertig“ gemacht werden und wir genießen einen erfrischenden Pfefferminztee, solange wir warten. An der Wand hängen zwei Fotografien, das obligatorische Bild vom König und die Dorfelf. Die Uhr ist schon lange stehen geblieben und der Mantel, den der Barkeeper angesichts der Temperaturen trägt, hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Dennoch, wir genießen es. Draußen tobt der Sturm und wir sitzen hier, lassen die Atmosphäre auf uns wirken, die ursprünglicher nicht sein könnte.
Der Blick in unser Zimmer ist dann aber doch ernüchternd. Ein Bett, 10 cm über dem Boden, eine zusätzliche Matratze auf der gegenüberliegenden Seite, eine nackte Glühbirne von der Decke baumelnd, das ist alles. Wenigstens erscheint es sauber. Dennoch verzichten wir darauf, die zur Verfügung gestellten Wolldecken zu verwenden und rollen uns nach einem hervorragenden Abendessen lieber in unsere Schlafsäcke.
Am kommenden Morgen erwartet uns ein strahlend blauer Himmel. Wir können es kaum erwarten, die Motorräder zu starten und fahren weiter die P19 nach Süden. Eine Polizeikontrolle in Bouanane verzögert unser Weiterkommen nur kurz. Wir trinken einen Kaffee passieren wenig später Boudnib und biegen auf der P21 links ab in Richtung Erfoud. Die gesamten 80 Kilometer von der Abzweigung bis zum Ende der Strasse in Tafilalt sind auf der Michelin Karte grün markiert, „landschaftlich schöne Strecke“ und genau so ist es in der Realität. Rechts unter uns reiht sich eine Oase, ein Palmenhain an den anderen. Im Hintergrund die zerklüfteten Felswände. Der Fluß Ziz hat hier in Jahrmillionen sein Bett tiefer und tiefer in den Stein gegraben.
Wir sind gut voran gekommen und beschließen, nicht in Erfoud zu übernachten sondern noch ein paar Kilometer weiter nach Osten, an den Erg Chebbi zu fahren. Die Strecke selbst ist nicht lang, vielleicht 20 km, weist jedoch einige Tiefsandfelder auf. Es kommt, wie es kommen musste. Vor lauter schauen habe ich das Hinterrad nicht ordentlich unter Zug, bin einen Gang zu tief. Das Vorderrad taucht in den Sand, der Motor kann die notwendige Leistung nicht bringen und mit einem Mal liege ich auf der Seite. Nicht weiter tragisch. Ich steige ab, starte die BMW, lege den ersten Gang ein und gebe neben ihr stehend etwas Gas, um sie aus dem Sandfeld zu schieben. Hinter einem Busch haben genau auf diesen Moment zwei Jungs gewartet, die nun eifrig mit schieben. Kaum 20 Meter weiter ist der Untergrund wieder fest und die Helfer halten die Hand auf, während sie grinsend „Stylo – Kugelschreiber“ sagen.
Direkt an den Dünen des Erg befindet sich ein Restaurant, auf dessen Dach wir unsere Schlafsäcke ausbreiten können. Die letzten Pauschalurlauber klettern vom Rücken ihre Kamele und besteigen die Busse in die Hotels - die Wüste gehört uns. Am nächsten Morgen um 4 Uhr werden wir unsanft geweckt. Tatsächlich sind die ersten Touristen bereits um diese Uhrzeit auf dem Anmarsch, um die Dünenlandschaft im Morgengrauen zu erleben. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Kurz nach Sonnenaufgang sind auch wir auf den Beinen, frühstücken im Restaurant herrlich frisches Baguette – wo auch immer das um diese Uhrzeit herkommt – und machen uns auf den Weg nach Zagora.
Zagora liegt auf der anderen Seite einer großen Ebene, am Ende des Draa-Tals. Will man nicht einen Umweg von mehreren hundert Kilometern machen, muss man über diese Ebene. Nach Auskunft unseres Wirtes, ist die Piste in gutem Zustand und angesichts des Touristenaufkommens in dieser Gegend machen wir uns auch keine großen Gedanken. Tatsächlich erwartet uns ein Tag miserabelster Naturstrassen, auf denen wir permanent von Schlagloch zu Schlagloch eiern, über Wellblech der übelsten Sorte rumpeln oder in Sand, der sich in den tiefen Fahrrinnen angesammelt hat, vorwärts walgen. Nach 2/3 des Weges erreichen wir Tazzarine. Das Gebettel der Kinder wurde uns schon zur Gewohnheit, hier fühlten wir uns jedoch geradezu unwohl. Permanent wurde an uns herumgezupft, auch Erwachsene kamen, zerrten an unserer Ausrüstung. Schließlich hatten wir die Nase voll, starteten die Motoren und fuhren weiter – schade. Was auch immer die Menschen dazu gebracht hat, derart mit Fremden umzugehen, unsere Toleranzgrenze war erreicht.
Die Piste von Tazzarine nach Nekob ist extrem staubig und gespickt mit großen Steinen. Der Wind hat wieder aufgefrischt und weht den Sand quer vor uns über die Strecke. Das erleichtert die Fahrerei nicht unbedingt und prompt stürzt Robert, als er nichts sehend gegen einen Stein fährt. Glücklicher Weise läuft auch dieser Sturz glimpflich ab, zurück bleibt lediglich eine kleine Prellung. Am Nachmittag erreichen wir die Hauptstrasse in das Draa Tal und schlagen unser Zelt auf dem Campingplatz in Zagora auf. Die Hauptsehenswürdigkeit ist wohl das große Schild am Ortsausgang mit einem Pfeil in Richtung Wüste. Darunter: „52 Tage nach Timbuktu“
Marokko bietet insgesamt eine unglaubliche Vielfalt an Landschaften. Im Norden und Westen gebirgig, im Osten die Ausläufer der Sahara durchzogen von Flüssen, die in der Wüste ganze Palmenwälder wachsen lassen. Das Draa-Tal ist das Destillat aus dieser landschaftlichen Schönheit. Um uns herum Trockenheit, der Blick in das Tal aber verwöhnt das Auge mit sattem grün. Immer wieder stoßen wir auf kleine Ortschaften mit Lehmbauten, teilweise mehrere Stockwerke hoch. Wir sind beeindruckt.
Eine Nacht verbringen wir auf dem Campingplatz in Zagora, dann heißt es für uns bereits wieder, den Rückweg antreten. Wir treffen ein Pärchen auf zwei Tenerées, die an die Elfenbeinküste wollen und wechseln bei einer Tasse Kaffee ein paar Worte. Kurz nachdem wir aufbrechen ereilt mich wieder mein Schicksal.
Ich liebe es, mit offenem Visier zu fahren, nur eine Sonnenbrille auf, das Kinnteil des BMW-Systemhelms hochgeklappt. Ein heftiger Schlag gegen meine Backe, wie ein Stein, der von einem vorausfahrenden Auto weggeschleudert wird, dann ein stechender Schmerz. Eine Biene hat mich erwischt und vermutlich ihren gesamten Giftvorrat in meine Wange gepumpt.
In Ouarzazate sehen wir die ersten Ausläufer des Atlas. Der Wind frischt deutlich auf, wächst an zum Sturm und wir beschließen die Nacht hier zu verbringen. Im Spiegel habe ich nun das erste Mal so richtig Gelegenheit, mein Gesicht zu betrachten und bekomme einen Schreck. Beim Casting für den Glöckner von Notre Dame hätte ich mit diesem Aussehen sicher gute Chancen. Glück, dass ich tagsüber einen Helm trage, der meine Optik ein wenig entschärft.
Wir haben einen strammen Fahrplan vor uns, passieren vor Midelt einen Streckenabschnitt mit „Wintersperre“ und biegen rechts ab auf die S329 hinauf nach Guercif. Der Wind ist unser ständiger Begleiter. Dass es erst April ist merkt man eben auch in Marokko. Wieder hüllt uns ein Sandsturm ein und macht die Fahrt zur Qual. In Schräglage, ohne vernünftige Sicht, das Augenmerk nur auf die Strecke gerichtet kämpfen wir uns voran. 20 km vor Guercif wird es Sau kalt. Unter der Lederjacke trage ich schon seit heute Morgen einen Pullover, sogar mit diesem friert es mich aber extrem. Nur aus Trotz schalte ich die Griffheizung an der GS nicht an, schließlich sind wir in Afrika! Nach diesem Tag gönnen wir uns ein Hotel und werden das erste Mal auf dieser Reise so richtig über den Tisch gezogen. Erst zahlen wir im Restaurant das doppelte des regulären Preises, um am nächsten Morgen auch noch einen extra Obolus für die „Bewachung“ der Motorräder abdrücken zu dürfen. Das war dann doch zu viel. Auf französisch fragen wir den „Wächter“, ob er jetzt vollkommen verrückt geworden sei, steigen ohne einen weiteren Kommentar auf unsere Motorräder und verlassen den gastlichen Ort.
Einen Tag hätten wir noch Zeit, beschließen jedoch wegen des sich stetig verschlechternden Wetters bereits morgen das Schiff von Melilla zu nehmen. Mein Ticket hatte ich bereits für die Hin- und Rückfahrt in Almeria gelöst und musste nun den Termin um einen Tag vorverlegen lassen. Nun waren aber alle Kabinen besetzt, hatte ich doch ein Ticket für eine 4-Bett-Kabine. Schier sprachlos bin ich, als man mir anbietet, das Ticket gegen Erstattung des Mehrpreises in eine Deckspassage zu tauschen, also genau das, was ich von Anfang an wollte.
Der Sturm hält auch auf der Überfahrt an und ich befürchte, das erste Mal in meinem Leben seekrank zu werden. Anders, wie auf der Hinfahrt, sind wir nun bei Nacht unterwegs und auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz. In diesen Pullmann-Sitzen konnte ich noch nie schlafen. Wir versuchen unser Glück in der Bar und landen schließlich doch außen auf Deck. Scheinbar hat der Wind gedreht oder das Schiff, auf jeden Fall spritzt die Gischt nicht mehr ganz so hoch und wir rollen unsere Schlafsäcke außen auf Deck aus. Robert schläft schon, als ich noch lange zurückblicke nach Afrika. Viel zu kurz war die Zeit, die ganzen Eindrücke dort zu verarbeiten. Immer wieder kommen mir einzelne Begebenheiten in den Sinn. Der Berber, den wir im Rif Gebirge nach dem Weg fragten. Unser „Hotelzimmer“ in Ain Benimathar, die geschäftstüchtigen Jungs neben den Sandlöchern und das Bild der Wüste mit ihren Dünen, wie wir sie von unserem Restaurantdach am Erg Chebbi sehen durften.
Ich bin dankbar, das alles erleben zu dürfen und weiß eines genau: Solange ich meine Knochen über den Sattel eines Motorrads schwingen kann, möchte ich reisen. Durch Steppen und Wüsten, Weite erleben, den Fahrtwind im Gesicht spüren und neugierig sein, was der nächste Tag mir bringen wird.
Sechs Stunden nach dem Ablegen in Melilla erreichen wir Almeria. Ein Stück weit froh, festen Boden unter den Füßen zu haben, treten wir den langen und langweiligen Weg zurück nach Deutschland an. In Barcelona gönnen wir uns nochmals ein Hotel um uns am nächsten Tag kurz hinter Orange die Hände zum Abschied zu reichen. Robert fährt weiter hinauf nach Nordfrankreich und dort über den Rhein, ich muss schon hier nach Osten abbiegen, um über die Alpen nach Süddeutschland zu gelangen. Davor habe ich Respekt. Vor mir ragen die tief verschneiten Gipfel der Westalpen in den grauen Aprilhimmel.
War es in Marokko der Sandsturm und einzelne kleine Schauer in Spanien, die uns mitteilten, dass wir noch nicht richtig Frühling haben, so liegt hier neben der Strasse frisch gefallener Schnee. Es hilft nichts. Will ich nicht einen Umweg von vielen hundert Kilometern machen, muss ich über den Montgenèvre. Und der zeigt mir so richtig, was er drauf hat. Auf halber Höhe beginnt es zu schneien. Jeden Meter, den ich weiter nach oben fahre, wird es kälter. Die Strasse verwandelt sich mehr und mehr in eine Rutschbahn. Längst bleibt der Schnee liegen und wird durch die vielen Autoreifen, die vor mir darüber rollen, festgefahren. Mit 30 km/h taste ich mich durch das Schneetreiben, kann die Fuhre gerade noch zum Stehen bringen, als auf der Passhöhe ein Auto ohne zu schauen aus einer Parklücke fährt und stelle die BMW schließlich vor einer Bank ab, um Geld zu wechseln.
Die Regenkombi an, den Helm auf dem Kopf mit hochgeklapptem Kinnteil und vollkommen verschneit betrete ich den Schalterraum. „Mon dieu“ sind die entsetzten Worte der Dame am Schalter. Bin ich auch vollkommen genervt von dem Wetter, wie es sich draußen gibt, so muss ich in dieser Situation doch schmunzeln. Ich wechsle ein paar Mark in Franc und geselle mich wieder zu meinem Motorrad, das zwischenzeitlich unter einer weißen Decke im Freien wartet.
Die weitere Strecke führt mich über Mailand und den Gardasee nach Österreich. Wie ein Verrückter rase ich über die italienische Landstrasse. Die Tachonadel steht bei 140. Noch einmal möchte ich nicht übernachten. Es ist schon später Nachmittag, als ich am Gardasee anlange. Noch einmal lege ich eine kurze Pause ein. Trinke einen Capuccino, gönne mir einen Krapfen. Dann geht es weiter über den Brenner, die Bundesstrasse nach Innsbruck, weiter nach Garmisch. München: 71 km steht auf dem Schild, als ich auf die A95 fahre. Um kurz nach neun bin ich zu Hause. Fertig mit der Welt, durchgefroren und erledigt.
Dennoch - Hätte mich jemand gefragt, ob ich Lust habe, morgen nach Nordafrika zu fahren, sofort hätte ich ja gesagt.